Samstag, 3. Mai 2014

Bahnhof verstehen

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Bestimmt kennt ihr auch den Trouble am Bahnhof? Ganz speziell ist es, wenn Züge angekommen sind. Automatisch bewegt sich die Menschenwelle aus unterschiedlichen Gestalten von Pendlern, Schülern, Touristen, Privatpersonen, Kindern bis hin zu Obdachlosen Richtung Hauptein- bzw. -Ausgang. Bis sich das hektische Gewühl aufgelöst hat, herrscht wirres Treiben. Rollkoffer die über Absätze rumpeln. Blitzblanke Lackschuhe klappern auf dem Fliesenboden. Geschäftiges Gemurmel an modernsten Telefonen ist von eiligen Businessleuten zu vernehmen. Unbeschwertes Kichern ist auszumachen, Teens strecken ihre Köpfe zusammen und schmunzeln. Meine Nase umschwirren verschiedenste Gerüche. Hier ein edles verführerisches Parfum, dort ein lieblicher Blumenduft. Dann durchbricht wieder ein schauderhafter Schweissgeruch meine Gedanken. Schnell schnuppere ich an meinem Foulard damit ich dem Mief ausweichen kann. Selten blicke ich in ein freundlich lächelndes Gesicht, welches mir wohlwollend zunickt. Vielmehr sind gehetzte Blicke oftmals verborgen unter einer Sonnenbrille zu erkennen. Gelegentlich werde ich angerempelt und manchmal sogar beschimpft. Dann halte ich einen Moment inne. Ich bin es gewohnt angeschubst zu werden auf physischer oder auch emotionaler Ebene. Meistens stehe ich mit beiden Füssen am Boden und kann die Invasion mit gelassener Ruhe über mich ergehen lassen an dieser besonderen Stätte.

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Inzwischen hat sich der Menschenstrom aufgelöst. Nur ich stehe weiterhin allein auf weiter Flur. Plötzliche Stille, nur das rattern der Plättchen der Anzeigetafel ist noch zu hören. Allerdings starre ich auf ein leeres Plateau. Wohin sind denn nur die Züge zum Kinderglück verschwunden? Der TGV oder ICE ist es nicht. Vielleicht ein Bummler, der zuerst alle Reisenden bei ihren gewünschten Destinationen ein- und aussteigen lässt. Hat er Verspätung oder stehe ich auf dem Abstellgleis? Werde ich überhaupt einmal dazu kommen einzusteigen? Oder ist er möglicherweise schon lange vorher entgleist? Leider habe ich nicht den leisesten Hauch einer Ahnung. So gerne würde ich doch einsteigen. Der Wunsch ist gigantisch, die Sehnsucht gewaltig, manchmal beinahe unerträglich. Die Leere nimmt mich gefangen, sie kommt häufig aus den Tiefen meines Verdrängens, daran gewöhnen kann ich mich nie. Und auch die Überholmanöver der anderen werde ich nie ohne Seelenknick einfach akzeptieren können.

Ich bin in einer Glasbox gefangen. Aussenstehende haben nur wenige Einblick in meinem Glas-Cubus. Die Seitenwände sind verspiegelt. Gelegentlich verirren sich Leidensgenossinnen oder Vertraute zu mir und wir halten ein Schwätzchen. Dann gebe ich ihnen meine Gedanken weiter auf ihre Reise. Bei Kindern ist es anders. Praktisch immer suche ich Blickkontakt zu den kleinen Wesen. Kinder haben diesen intensiven Blick in meine zernarbte und geschundene Kinderwunsch-Seele. Jedes Zwinkern und Lächeln nützt nichts, als ob sie mit ihrem einschneidenden Scharfblick sagen wollen, habe etwas Geduld dein Kind wird dich finden. Dann verstehe ich nur Bahnhof. Oder ist es längst klar und ich will nur Bahnhof verstehen? Kondukteur wo bleibst du? Könntest du mir bitte einmal den Weg weisen?

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Einmal durfte ich kurz auf den Zug aufspringen, dementsprechend war das Ticket immens teuer. Es stellte sich als Niete heraus. Der Fall war heftig, die Vorfreude und Hoffnung zuvor stark. Gelandet bin ich in der Realität einer gescheiterten ICSI-Behandlung inbegriffen drei negativen Kryoversuche. Abfertigung! Welche Weiche muss bei mir justiert werden? Ich habe keinen Schimmer wie oft ich das Gedränge der Reisenden aushalten werde. Nein, ich mag diesen Publikumsverkehr nicht. Wer zeigt mir den Ausweg aus diesem Kopfbahnkino? Es ist ein bisschen, als wäre ich im Sackbahnhof Gare de Lyon gestrandet. Muss ich den Bahnhof wechseln? Muss ich meine Reisevariante überprüfen? Das Gepäck ist schwer geworden. Der verstaute Ballast droht mich zwischenzeitlich zu erdrücken. Ich bin blockiert. Die Pause wird dringend benötigt. Ich erkenne mich manchmal selber nicht. Ich verletze Personen die mir wichtig sind, mit meinen Durchhalteparolen und Selbstschutzstrategien. Dieser elende Schmerz will einfach nicht aufhören. Auch wenn ich mich manchmal auf den Geleisen hinlegen und ausruhen möchte, würde dies mich nicht von meiner Qual erlösen.

Das Schauspiel des Gedrängels in der Rush hour beginnt von vorne. Erneute absolute Einsamkeit folgt in der Bahnhofhalle. Muss ich oder mein Zug einen Spurwechsel vornehmen? Wann hat das Warten ein Ende? Einsam will ich untergehen und eines Tages wiederkehren...

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2 Kommentare:

Wünsch dir was hat gesagt…

Ach du...das liest sich furchtbar traurig. Und doch hast du es genau beschrieben. Den Schmerz, die Einsamkeit, die Richtungslosigkeit...ich kann dich gut verstehen.
Mein Gepäck ist mir auch zu schwer geworden, darum raste ich gerade ein bisschen...es ist nicht einfach - ich wünsche dir alles Liebe und dass du deine Richtung findest!

Unknown hat gesagt…

Danke, liebe wünsch dir was, schön zu wissen, eine Weggefährtin zu haben. Dann lass uns doch ein wenig gemeinsam verschnaufen. Liebe Grüsse Mariechen