Sonntag, 20. April 2014

Blickfang

Sehr geehrte Frau Dr. Oberärztin, wieso arbeiten Sie in diesem Jahr nur in Paris? Sie fehlen mir und sie hinterlassen grosse Lücken in der Klinik. Obwohl, es war schon immer ein bisschen ein hektisches Treiben, wie in einem Bienenhaus. Und irgendwie haben sie immer Ruhe ins Spiel gebracht. Grandios. Sie haben diese Wirkung auf Frauen, eben auch auf mich. Wenngleich ich zu Beginn eher kritisch veranlagt bin, haben sie mein Herz bei ihrem ersten Erscheinen erobert. Sie trugen verwaschene Jeans und bequeme Turnschuhe, haben einen starken Händedruck, ein ansteckendes Lachen und in ihren Augen konnte ich Erfahrung und Geschichten über das Leben lesen. Sie haben vier Kinder sind berufstätig und ich schätze Ihre unkomplizierte Lockerheit ungemein. Allerdings sind Sie chaotisch, Sie verlegen Dokumente, aber das macht Sie bereits wieder zu meiner Verbündeten, weil ich selber diesen Makel kenne. Das Brillante an Ihnen ist, dass Sie sich aufrichtig um ihre Patientinnen und Patienten sorgen, welche Ihnen wichtig sind, danke. Ich verzeihe Ihnen sogar Anmerkungen über mein Gewicht. Klar, Sie haben recht, dass ich robust gebaut bin. Dem Schlankheitswahn nacheifern, will ich nicht, das ist mir zu anstrengend. Und doch betätige ich mich gerne sportlich.

Beim letzten Besuch lief einiges schief. Uns wurde Hoffnung und Mut gemacht an einer Studie teilnehmen zu können. Nun wusste man doch über meinen erhöhten Hormonwert Bescheid. Eines vorweg, hier mag ich mich nicht mit den ganzen medizinischen Fachwörtern herumschlagen, das ist definitiv nicht meine Welt, aber ab und zu geht es halt nicht ohne. Ihre Arbeitskollegin erwähnte, dass die Klinik dem nicht so viel Beachtung schenke. Sie informierte wirklich beeindruckend und ausführlich über unsere Krankheitsgeschichte, ich war schon etwas überrumpelt und auch wieder in Vorfreude, endlich geht es weiter. Bei der Blutentnahme hatte sie plötzlich keine Zeit mehr, trotz eines vereinbarten Termins. Mein Dossier sei irgendwo untergegangen. Oder wollte sie mich nur nicht untersuchen, weil sie mich dann aufklären müsste, dass wir nun doch nicht an dieser Studie teilnehmen könnten? Ironischer weise erhielten wir gerade für diese Untersuchung einen Fragebogen zu einer Meinungsumfrage. Dieser wurde von uns noch nicht ausgefüllt. Das Resultat wäre in diesem Augenblick zu emotional und negativ ausgefallen.

Finanziell wäre die Teilnahme an der Studie wirklich eine gute Option gewesen. Nun sind wir ernsthaft am Überlegen, ob wir doch den Weg der Adoption einschlagen sollen. Zurzeit sind wir gerade etwas ratlos. Vielleicht warten wir bis Sie wieder zurück sind und machen dann weiter. Ach, liebe Frau Dr. Oberärztin Sie fehlen mir, genau ich wiederhole mich. Bitte kommen Sie bald retour aus Paris. Oder nein warten Sie, geniessen Sie die Stadt der Liebe, forschen und studieren Sie was das Zeug hält. Und kommen Sie mit ganz vielen neuen medizinischen Erkenntnissen und Energien im Bagages zurück. Und dann fahren wir unsere Behandlung fort, wo wir im letzten Jahr aufgehört haben. Ja, manchmal können Blicke mehr sagen als tausend Worte. In praktischer Arbeit sind Sie nämlich unschlagbar, danke für Ihr Vertrauen.

Herzliche Grüsse
Mariechen
© Mariechen

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